· 

2. Dezember

Schon seit mehreren Stunden starrte ich durch das mit Regentropfen übersäte Fenster in den grauen Himmel. Und genauso, wie das Wetter draußen war, fühlte ich mich auch. Grau. Es war Dezember, also eigentlich Grund der Freude. Bald war Weihnachten. Doch ich hatte die Türchen meines Kalenders immer nur lustlos geöffnet. Alle Bediensteten in unserer Villa waren lustlos. Ich merkte, dass irgendetwas nicht stimmte. Niemand wollte mir etwas sagen. Sogar mein Kindermädchen, welches auf mich aufpasste, wenn meine Eltern, wie jetzt, nicht da waren, hatte aufgehört zu lachen. Und ich auch.

 

Mein Bett stand unter einer Kuppel, durch welche ich direkt auf die Straße und in den Himmel schauen konnte. Sie war an der Seite der Villa angebracht, so dass ich auch die meisten anderen Zimmerfenster sah. Und im Salon brannte Licht. Die Erwachsenen unterhielten sich anscheinend gerade. Neugierig wie ich war, stieg ich also aus dem Bett, um etwas des Gespräches mit zu hören. Es war aber gar nicht so einfach, nach unten zu gelangen, da ich erstens im Dunkeln nichts sehen konnte und zweitens meine runde, schwarze Brille nicht fand. So stolperte ich alle zwei Meter über ein Witzebuch, oder ähnliches, welches ich auf dem Boden platziert hatte. Ordnung war nicht so meine Stärke. Ich flüsterte einen leisen Fluch, schlich dann aber weiter die Treppe herunter und durch den Eingangsbereich, bis ich zum einzigen Raum mit Licht gelangte. Die Tür stand einen Spalt weit offen. Ich presste mich an die Wand, damit ich etwas vom Gespräch mithören konnte.

 

,,… müssen es Charm bald sagen.“, meinte unser Koch, Mr. Brown. Er kochte echt das Beste Essen des Planeten, doch auch das war in letzter Zeit immer schlechter geworden.

 

,,Aber Thomas, sie ist noch ein Kind!“, klagte mein Kindermädchen Lucy. ,,Das können wir ihr nicht antun.“

 

,,Wer soll es dann tun? Sie wird es so oder so nicht verstehen. Besser jetzt, als später. Vielleicht geht es ihr bis Heiligabend besser und wir können doch noch ein schönes Fest zusammen feiern?“, entgegnete Mr. Brown. Ein komisches Gefühl kam in mir hoch. Auf der einen Seite war ich nach diesem Wissen durstig, endlich zu erfahren, was mir seit Tagen verheimlicht wurde und auf der anderen Seite auch nicht, da es bestimmt einen Grund hatte, warum es mir verschwiegen wurde.

 

,,Dir ist schon klar, dass sie Weihnachten nicht bei uns ist?“ Nun war es unser Butler, der sprach. Was?! Wo sollte ich denn dann sonst sein? Ich rückte immer etwas weiter an die Tür, um wirklich alles zu hören.

 

,,Das ist mir neu. Aber wo ist sie dann?“, fragte Lucy. Ich hörte etwas Papier rascheln. Und dann einen Aufschrei. Am liebsten wäre ich jetzt bestürzt ins Zimmer gerannt, um nach zu sehen, was passiert war, doch diese Frage klärte sich von selbst.

 

,,Doch nicht etwa DA hin?! Das ist am Ende der Stadt! Und schau dir doch mal an, wie das hier aussieht! Das geht doch nicht! Sie wird sich dort nie eingewöhnen können! Das ist das Gegenteil von diesem Haus, DAS GEHT NICHT!“, schrie Lucy. Ich musste nicht lange überlegen, was am Ende der Stadt lag. Immer, wenn ich mit meinen Eltern dort vorbei gegangen war, hatten wir gleich die Straßenseite gewechselt. Sie hatten mich immer davor gewarnt, nicht in die Nähe zu kommen. Und jetzt sollte ich da hin?! Ich brauchte nicht lange, um den Grund zu kennen. Wut und Trauer stiegen zur gleichen Zeit in mir auf und ich merkte, wie die Tränen über mein Gesicht strömten über mein Gesicht strömten. Sie tropften, wie der Regen draußen aufs Dach, auf meinen Schlafanzug. Ich stürmte ins Salon, in welchem mich eine Reihe Erwachsener erstaunt anblickten.

 

,,Warum habt ihr mir nichts gesagt?!“ Ich rannte auf Lucy zu, um mich in ihre Arme zu stürzen und mich dort auszuheulen. Es war alles zu ende, niemand war mehr da, der mich trösten konnte, wenn ich traurig war, oder niemand mehr, der mich Huckepack nahm. Nie wieder würde ich das Lächeln meiner Mutter sehen, oder mich von den starken Armen meines Vaters umarmen lassen. Das konnte doch nicht wahr sein! Nein, es DURFTE einfach nicht wahr sein. Nein!

 

,,Ach Charm, es tut mir soooo Leid. Jetzt muss ich auch noch anfangen zu weinen.“, schniefte Lucy und empfing mich. Ihre Wärme beruhigte mich ein klitzekleines Bisschen, doch nicht genug, dass ich aufhörte zu weinen. ,,Thomas, reichst du mir bitte mal ein Taschentuch."

 

,,Charm! Es tut uns wirklich Leid, dass du es so erfahren musstest.“, meinte unser Koch und gab Lucy das Taschentuch, doch ich schrie nur zurück, ob das das einzige war, was ihm dazu einfiel. Natürlich verneinte er, doch ich wollte das alles gar nicht mehr hören, alles verschwamm um mich herum und ich wollte nichts lieber, als bei meinen Eltern zu sein. Doch das ging nicht. Ein einziges Gefühl hatte den gesamten Platz in meinem Körper eingenommen und trat von allen Seiten nach außen. Trauer.

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0