10. Dezember

Dass Dove sich in letzter Zeit komisch benahm, konnte sogar ein Blinder bemerken. Doch seit ich sie heute morgen wiedergesehen hatte, war sie sogar noch komischer als sonst. Sie wirkte ruhig und still, lachte nicht mehr. Außerdem sah sie sehr traurig aus. Immer wieder versuchte ich, sie zu fragen, was los sei, doch immer wieder wich sie aus. Doch nach dem Unterricht würde ich sie kleinkriegen.

 

Ich strich mir meine rubinroten Haare aus dem Gesicht, bevor ich tief einatmete. ,,Meine liebe Dove, ich habe dich vorgestern und heute morgen zwar schon mit dieser Frage genervt, aber WAS IST MIT DIR LOS?“

 

,,Nichts. Was soll los sein? Mir gehts blendend, kein Grund zur Sorge.“ Als sie das sagte, sah sie sehr traurig aus. Ich nahm sie in den Arm, nachdem ich ihr versicherte, dass doch irgendetwas sei und sie dies unmöglich vor mir verbergen konnte. Schließlich sah sie es ein und führte mich in unser Zimmer.

 

,,Also, es ist etwas schwer zu erklären, aber, na ja, als ich beim Arzt war, na ja, da hat der gesagt…gesagt dass…dass ich in zwei Wochen sterben werde!“ Sie brach vor mir auf dem Boden zusammen und fing bitterlich an zu weinen. Für ein paar Sekunden stand ich nur stocksteif dar. Ich konnte das nicht realisieren. Das konnte unmöglich wahr sein! Sie, meine beste, nein, allerbeste Freundin sollte sterben?! Nein! Das konnte und durfte nicht wahr sein! Ich tat es Dove gleich und zusammen weinten wir, die Arme um den jeweils anderen geschlungen. Plötzlich fühlte ich mich wie vor acht Tagen. Ich weinte genauso wie damals. Nein! Warum?! Warum wurden mir immer meine Liebsten genommen?!

 

Es dauerte ein paar Stunden, bis wir uns wieder eingekriegt hatten. Nun saßen wir zu zweit auf unserem Bett. ,,Das…das tut mir unendlich Leid für dich.“ ,,Was? Nein, mir muss es Leid tun. Meinem blödem Körper! Wegen mir musst du nun hier ganz alleine sein, das kann ich dir nicht antun!“, rief Dove und wischte sich gleichzeitig mit einem Stofftaschentuch ihre Tränen aus dem Gesicht.

 

,,Aber weißt du was? Die Zeit, in der du noch lebst, sollten wir genießen, und dass wir jetzt hier rumheulen bringt uns auch nicht weiter. Also, lass uns alles machen, zu dem du Lust hast. Ich möchte, dass du ein schönes restliches Leben hast!“, meinte ich und sprang auf. Sie schaute mich nur kurz an, dann meinte sie, dass es eine super Idee war und schrieb alles auf, was ihr einfiel.

 

,,Nur ziemlich doof, dass ich in der blödesten Zeit des Jahres sterbe.“, murmelte sie währenddessen. ,,Was heißt hier blöd?“, rief ich empört auf. ,,Man Dove, Weihnachten ist toll! Jetzt hab dich nicht so. Komm, heute öffnest du meinen Kalender. Ich habs nämlich vergessen. Oh man, ich glaube, so langsam werde ich auch noch so ein Weihnachtsmuffel.“

 

,,Och nö ey… die Diskussion hatten wir doch schon. Na ja, obwohl, ich wollte so viel wie möglich noch machen, während ich noch lebe, also…warum nicht?“ , meinte sie und ging zur Wand, an welcher der Kalender hing. Mein Herz machte einen Hüpfer. Yeah! Sie würde Weihnachten endlich toll finden. Aufgeregt folgte ich ihr. Wie sie meinen Weihnachtskalender wohl fand? Es war nichts besonderes, nur selbstgefüllte alte Söckchen von mir. Zwar waren meine Eltern sehr reich gewesen, doch hatten sie an Weihnachten immer darauf geachtet, nicht so viel Geld aus zu geben, da sie dieses lieber an Bedürftige oder Krankenhäuser gespendet hatten. Vielleicht auch hierher?

 

Ein Weilchen fummelte meine Freundin an der zehnten Socke herum, bis sie endlich das kleine, in silbernes Papier eingepackte Stückchen Nussschokolade heraus bekam. Sie musterte es prüfend, als ob es sich jeden Moment in lauft auflösen würde, dann packte sie es aus und stopfte es sich in den Mund.

 

,,Mhhmm, lääääcka.“, schmatzte sie und warf das Papier gekonnt in den Mülleimer. ,,Und so etwas kriegst du jeden Tag in diesem Kalender?“

 

,,Jupp.“

 

,,Krass. Ähhhhh, eine Frage, was hältst du davon, wenn wir uns deinen Kalender teilen?“, fragte sie mit einem schiefen Grinsen.

 

,,Gerne! Und, was ist jetzt? Ist Weihnachten immer noch so doof? An Weihnachten gibts dann übrigens noch mehr, als nur Schoki“, fragte ich. Überglücklich schüttelte Dove den Kopf. ,,Nein, überhaupt nicht! Aber ich mag es trotzdem nicht so.“