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22. Dezember

Heute war der vierte Advent! Wir hatten zwar keinen Adventskranz, aber trotzdem versuchten

wir irgendwie zu feiern. Für heute hatten wir uns vorgenommen, Geschenke einzupacken. Dove

ging es leider sehr schlecht. Es musste einfach ein Wunder geschehen, sie durfte nicht sterben.

Vor zwei Tagen waren wir noch überglücklich, da sich endlich ein Hauch einer Chance gezeigt

hatte, Dove zu retten. Und dann kam dieser blöde Schneesturm, und die Bestellung würde

wahrscheinlich nicht rechtzeitig ankommen. Ich fühlte mich elend und traurig.

 ,,Und du bist dir wirklich sicher, dass du mir helfen willst?“, fragte ich Dove zum letzten Mal.

Sie saß in ihrem Bett und sah ziemlich fertig aus. Sie war so dünn und gebrechlich, aß kaum

noch etwas.

 ,,Was? Ich höre dich nicht, ich habe einen Druck auf meinen Ohren. Kannst du’s

wiederholen?“, antwortete sie und nippte an ihrem Tee.

 ,,Und. Du. Bist. Dir. Wirklich. Sicher?“, sagte ich langsam und laut, damit sie mich verstand.

 ,,Ja! So lange ich noch lebe, möchte ich auch etwas Gutes tun! Gib mir mal bitte die Pixis.“,

protestierte sie. Ich tat wie mir geheißen. Ein bedrücktes Schweigen legte sich über unser

Zimmer. Niemand sprach mehr, seit der Schneesturm angekündigt wurde.

 Ich schaute aus dem Fenster. Ein wildes Schneetreiben verwischte die Umgebung. An den

Glasscheiben bildeten sich schon Eisblumen. Eigentlich liebte ich Schnee, doch ausgerechnet

jetzt wollte ich ihn am wenigsten. Auf weiße Weihnachten konnte ich dieses Jahr echt

verzichten.

 Seufzend schnappte ich mir ein Geschenk (ein neues Witzebuch für Alice) und versuchte, es

irgendwie nett mit blauem Geschenkpapier einzupacken. Nie hatte mich jemand in diese Kunst

eingeweiht. Am Ende sah es aus, als ob meine Ungeduld in Papier verewigt worden wäre. Also

schrieb ich noch mit schwarzem Filzstift dazu: Sorry.

 ,,Was machst du da?“, fragte Dove nach einer Weile.

 ,,Geschenke einpacken, was denn sonst.“, brummte ich entnervt und schüttelte meine Hand,

damit der Klebestreifen abfiel, jedoch ohne viel Erfolg. 

 ,,Gib mal her. Schau, so macht man das.“ Dove zeigte mir sehr ausführlich, wie man

Geschenke sorgfältig und sauber verpackte. Es sah so hübsch aus, dass man sich nicht trauen

würde dieses Kunstwerk zu zerstören, um an den Inhalt im Inneren zu gelangen. Ich schaute

gebannt zu und vergaß für eine Weile, dass das Wetter draussen immer ungemütlicher und

stürmischer wurde. Es hatte etwas Beruhigendes Dove zuzusehen, wie geschickt sie mit ihren

zarten, zerbrechlichen Händen wahre Kostbarkeiten hervorbrachte. Es lenkte mich tatsächlich

ein wenig von der momentanen Ausweglosigkeit ab, Dove rechtzeitig die so dringend

benötigten Medikamente zukommen zu lassen. Was für eine Tragödie.

Es war inzwischen dunkel geworden und ich machte uns Tee, legte noch ein paar Holzscheite

nach, um die vergehende Wärme zurückzubringen. In ein paar Tagen ist Weihnachten, das

Fest der Liebe, der Lichter und der Familie. Was für eine Ironie. Was für eine Sinnlosigkeit ich in

diesem Jahr mit dem Fest verbinden würde. Wie sollte ich mich darauf freuen, wenn meine

Freundin litt und das nächste Jahr vielleicht nicht erleben würde? Wie sollte ich das überleben?

Ich blickte aus dem Fenster, hilflos, traurig und auf ein Wunder hoffend. Es musste etwas

geschehen. Es musste doch irgendjemand helfen können. Ich fing an zu beten, war in

Gedanken ganz versunken, ohne zu bemerken, dass Dove eingeschlafen war. Alle Geschenke

waren eingepackt und warteten darauf, ihre Besitzer zu erfreuen. Alle, bis auf einen.

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