Wir zogen unsere besten Kleider an, um uns dann am Bett von Dove zu versammeln. Es war
dunkel, und draussen wütete noch immer der Schneesturm, unbarmherzig und schonungslos,
um alles zu zerstören, was nicht kräftig genug war, standzuhalten. Doves Zimmer war nur
spärlich beleuchtet, dem Augenblick sichtlich angemessen. Die Medizin war noch immer nicht
eingetroffen, und ihr Zustand dementsprechend schlechter. Die Hausmutter bat uns, ans Bett zu
kommen und zu beten. Dove lächelte, als sie alle Mädchen sah. Tränen flossen leise an
Gesichtern herab. Ich biss mir auf die Lippen und wollte Stärke zeigen, konnte meine innere
Aufgewühltheit aber nur schwer verbergen. Was nützten all die Gebete, wenn Gott sie sowieso
nicht erhörte? Ich sah keinen Sinn darin, meine beste Freundin sterben zu lassen. Die Hoffnung
auf Rettung schmälerte sich von Stunde zu Stunde. Wie bedrückend die Stille doch war. Wie
unerträglich die Verzweiflung, wie schwer diese Last.
Plötzlich hörten wir ein Hämmern, was uns aus unserer Bedrücktheit jäh herausriss. Es war
dumpf und wirkte dennoch energisch. Die Hausmutter schickte eines der Mädchen nach unten,
um nachzusehen. Wir hörten einen Schrei und hörten Stimmen. Ein Einbrecher vielleicht? Ich
rannte los und sah, wie ein Bote nach oben gerannt kam und ein Bündel in der Hand hielt.
Konnte das möglich sein? War das etwa…? Er brachte tatsächlich die langersehnte Medizin,
Doves Rettung! Helle Aufregung herrschte sogleich im Zimmer. Es wurden mehr Kerzen
angezündet, um die kostbare Fracht näher zu begutachten. Ein braunes Fläschchen und ein
Brief vom Doktor mit der Anweisung, wie die Rezeptur einzunehmen war. Dove lächelte immer
noch. Sie hatte nie den Glauben verloren, nie die Hoffnung auf Genesung. Plötzlich überkam
mich eine Welle der Freude und Scham zugleich. Wie konnte ich nur den Glauben verlieren?
Wie hatte ich nur zweifeln können? Wie schwach ich doch war.
Es wurde Morgen, und der Tag erstrahlte nun in seinem schönsten Blau. Der Schneesturm war
vorüber und hinterließ eine weiße Wunderlandschaft, so hell, so freundlich und friedlich. Nichts
erinnerte mehr an die Dunkelheit und Bedrohlichkeit der letzten Tage und Nächte. Ich rannte
sofort in Doves Zimmer. Ich zog die Vorhänge langsam auf und bemerkte, dass sie bereits
aufrecht im Bett saß. Sie sah schon deutlich besser aus, die Medizin begann zu wirken.
„Was gibt es Schöneres, als ein strahlender Morgen?“, sagte sie voller Zuversicht. „Na die
Geschenke, die auf uns warten“, flötete ich. „Fröhliche Weihnachten, liebe Dove. Ich wünsche
Dir von Herzen das Beste dieser Welt“. Ich gab ihr einen dicken Kuss auf die Wange. „Nun geh
schon, packe deine Geschenke aus. Worauf wartest du noch? Die Hausmutter hat schon zwei
Mal geläutet.“ Dove war immer die Fürsorglichere von uns beiden gewesen.
Ich rannte rasch nach unten, denn im Festsaal war Bescherung. Wie schön der Raum
geschmückt war. Kerzen leuchteten, und ein kleiner Baum voller Sterne und Kugeln ließ keinen
Zweifel mehr aufkommen, dass es tatsächlich Weihnachten war. Es duftete nach Bratäpfeln und
Pfeffernüssen, der Tisch war reichlich gedeckt. Plötzlich ging die Tür auf, und Dove wurde in
einem Rollstuhl hinein geschoben. Nie hätte ich es mir auch nur träumen lassen, sie noch
einmal hier zu sehen. Wie wunderbar es doch war. Es war das schönste Geschenk überhaupt.
Jedes der Mädchen war nun eifrig damit beschäftigt, ein Geschenk auszupacken. Alle staunten
über die kunstvoll verpackten Objekte, leider nicht mein Verdienst.
Plötzlich hörte man ein leises Jaulen und ein kleines Wollknäuel schoss aus einer Ecke hervor
und sorgte im Handumdrehen für helle Aufregung im Saal. Da war er, ein kleiner Welpe. So
viele erstaunte Gesichter, die sich wunderten, woher er kam. „Das ist unser Geschenk für Dove,
frohe Weihnachten meine Liebe“, sagte die Hausmutter feierlich. Dove konnte vor lauter
Staunen den Mund nicht schließen, so viel Aufregung an diesem Morgen. Oh, wie sehr hatte sie
sich einen kleinen Hund gewünscht, und nun würde ein treuer Freund ihr Leben bereichern.
Das ist Weihnachten, fast schon magisch. Kein anderes Fest ist für solche Momente geeignet.
Ich platzte förmlich vor Freude, vor Liebe und Glückseligkeit. Ich fühlte mich gut, endlich, nach
den letzten, traurigen Tagen, die in mir eine tiefe Leere hinterließen. Alles vergangen. Ich setzte
mich in eine Ecke und schaute zufrieden auf die Mädchen, die aufgeregt tuschelten und dann
begannen, die schönsten Weihnachtslieder zu singen. Ich sah die immer noch schwache, aber
überglückliche Dove in ihrem Rollstuhl, mit einem schlafenden Welpen auf ihrem Schoss. Ich
sah unsere Hausmutter, auf deren Gesicht Kummer und Gram wie weggewischt waren. Was für
ein Tag. Was für eine Zeit. Ich würde mich ein Leben lang an diesen Moment erinnern.
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