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Interview mit Jule Nagel ( Linke) über Armut in Leipzig

Interview mit Juliane Nagel von der Linken über die Armut in Leipzig

Interview von: Lennart, Anna B. , Anna S. , Adriana Klasse 8

 

Wir würden erstmal mit einer persönlicheren Frage starten und zwar : Haben sie schon mal einem Bettler Geld gegeben und wenn ja, warum?

Ja, ich gucke eigentlich fast immer ,wenn ich angesprochen werde im Innenstadtbereich oder am Bahnhof passiert das öfter, dass ich Menschen, die mich nach Geld fragen auch Geld gebe und ich kaufe regelmäßig die „KIPPE“ ( Wohnungslosenzeitung, bei der ein Teil des Geldes an die Verkäufer aus ärmeren Verhältnissen gegeben werden). Ich mache das weil ich denke, das hilft den Leuten, egal was sie sich davon kaufen. Ob es eine Zigarette ist oder ein Stück Brot oder ob das Geld für irgendwas Teureres sammeln. Ich habe das Geld und kann also auch ein bisschen davon abgeben.

Mit welchen Maßnahmen geht Leipzig aktiv gegen Armut vor oder wo sehen sie noch Missstände in Hilfsangeboten?

Es ist ja schwierig , die soziale Grundsicherung , das kann ja eine Stadt gar nicht beeinflussen, das ist ja das Dramatische. Diese Möglichkeit existiert einfach nicht.. Die Stadt Leipzig versucht, mit verschiedenen Maßnahmen Zugänge zu ermöglichen. Es gibt zum Beispiel seit den 90er Jahren den sogenannten Leipzig-Pass, der für Menschen die nicht so viel Geld haben, die von Sozialleistungen leben oder wenig verdienen ,... denen versucht Leipzig mittels des Leipzig-Passes Zugang zu Freizeitangeboten, Kulturangeboten, oder Ermäßigung im Nahverkehr zu ermöglichen. Das ist ein wichtiges Instrument. Das hat damals auch meine Partei mit in den Stadtrat eingebracht und eine Mehrheit bekommen, wie das Sozialticket für Straßenbahn und Bus immer auch durch eine soziale Bewegung oder Bürgerinitiativen, die das gefordert haben. Natürlich versucht Leipzig das auszugleichen, was unser Bildungssystem in Sachsen versaut, muss man sagen; Die Trennung von Kindern und Jugendlichen in verschiedene Schultypen, das finde ich eigentlich nicht richtig weil auch da zeigt sich, dass sich in den Haupt- und Oberschulen die Kinder aus ärmeren Familien ballen und in den Gymnasien eher die „ privilegierteren“. Durch Schulsozialarbeit versucht Leipzig da schon so einen kleinen Ausgleich zu schaffen. Eigentlich müsste man das Schulsystem ändern, das kann die Stadt aber wiederum nicht.

In welchen Stadtvierteln befinden sich nach ihrem Wissen die meißten von Armut betroffenen Menschen?

Es ist schon lange in die Stadtkarte eingeschrieben, dass im Westen und im Osten, namentlich Grünau, Volkmarsdorf, Sellerhausen, Paunsdorf, die größte Armutsquote existiert . Auch bei Kindern und Jugendlichen, und die Stadt Leipzig gibt jährlich einen Sozialreport raus, der die Einkommenssituation von Menschen dokumentiert. Dort ist jetzt vor zwei Jahren ein sogenannter Segregationsindex erfasst, der die Verhärtung von Armutslagen dokumentiert. Also dass die soziale Spaltung im Stadtgebiet so verhärtet dass sie kaum zu überwinden ist. Man müsste die Bevölkerung in diesen Orten zu einer Hälfte austauschen, um dort Chancengleichheit herzustellen. Es ist ziemlich dramatisch und wir sind da auch ein bisschen ratlos, wie man es schafft, die Armut dort zu verringern.

In welchen Formen tritt Armut am häufigsten in Leipzig auf?

In Leipzig tritt Armut am häufigsten durch Einkommensarmut auf. Also Menschen haben gar kein Einkommen, sind auf Sozialhilfe angewiesen. Die Quote an Hartz 4 ist in den letzten Jahren gesunken, liegt ca. bei 11 Prozent . Das ist ein Faktor, Arbeiten zu gehen und trotzdem zu wenig zum Leben zu haben ist auch ein Phänomen, was in Leipzig auch heraussticht, wenn man Sachsen betrachten, es betrifft glaube ich 1/ 4 der Arbeiteten Menschen. Und was wir natürlich zunehmend sehen ist durch die explodierenden Mieten, dass Menschen ihre Wohnung verlieren oder zu viel für ihre Wohnung bezahlen müssen. Gerade bei Alleinerziehenden und alleinstehenden Senioren und Seniorinnen, die sind ziemlich Armutsgefährdet. Diese Gruppe zahlt viel zu viel, bis zu 40 Prozent ihres Einkommens für Miete. Die hohen Mieten sind in Hinsicht auf Armut auch in Zukunft ein hohes Risiko .

Woran erkennt man von Armut betroffene Kinder ?

Das ist schwierig, da man vorsichtig sein muss, dass man niemanden einordnet. Aber vielleicht kann man das an Kleidung sehen die nicht gut , oder gerade in kälteren Jahreszeiten nicht warm genug ist, es muss aber nicht sein. Also auch Eltern, die wenig Geld haben, kümmern sich doll um ihre Kinder und sind sich bemüht, dass sie angemessen angezogen sind.Wo aber auch soziale Ungleichheit und Armut eingeschrieben ist, sind das Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Also Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit, Sprechvermögen etc. . Da gibt es auch schon einen Zusammenhang mit der sozialen Situation der Kinder die das betrifft.

Wie wirkt sich Armut auf die Entwicklung von Kindern und Familien aus?

Armut von Kindern und Familien zeichnet sich vorallem durch Mangel aus, es gibt vielleicht einen Mangel an gesunder Ernährung, Bildung, Kommunikation über die Zukunft, Perspektiven etc. . Sie können zum Beispiel nicht studieren. ( 1/5 der Kinder aus armen Haushalten oder niedrigerem Einkommen studieren, bei Akademikerhaushalten sind es fast 75 Prozent). Es ist einfach sozusagen vorgegeben. Mir ist es aber immer wichtig dazuzusagen, dass es auch die Ausnahmen gibt. Ein Kind muss also keine schlechte Bildung haben nur weil es aus einer ärmeren Familie kommt, das kann aber auch andersrum so sein. Es ist kein Automatismus, aber es gibt Häufungen-

Was sind die Alternativen der Linken zu Hartz 4 ?

(lacht ) Die Linke kämpft seit der Einführung 2003 gegen Hartz4 und hat , in Anlehnung an Vorschläge von Sozialverbänden, ein Modell entwickelt was sich Soziale Grundsicherung nennt, das bedeutet unterm Strich dass jeder Mensch aus Sicht der Linken 1200 Euro monatlich zum Leben haben muss, das ist sozusagen die soziale Absicherung plus Wohnkosten, und das wäre doch schon ein Stückchen mehr als Hartz 4 . So ein Wandel in der sozialen Absicherung stellt sich die Linke vor. Die Linke fordert außerdem, auch mit vielen Sozialverbänden eine Kindergrundsicherung . Also weg vom Kindergeld . Die Leistungen für Bildung und Teilhabe für Kinder und Jugendliche zusammenzufassen zu einer Kindergrundsicherung. Der Wert liegt für jedes Kind im Monat gerade bei 330 Euro.

Was können wir als Jugendliche gegen Armut unternehmen?

Ihr könnt auf eure Mitschülerinnen und Schüler schauen, Kids mit denen ihr zu tun hat, wie es denen geht, euch dafür interessieren, Und ihr könnt vielleicht sozusagen eine Lobby sein gegenüber der Stadt. Als Zusammenschluss von jungen Menschen Mut aussprechen, das ist schon wichtig, Ich habe nämlich auch in der Gesellschaft immer das Gefühl, dass das nicht so im Mittelpunkt steht. Es fällt so runter zwischen den verschiedenen Themen. Aber bei den verschiedenen Themen , die heiß diskutiert sind in unserer Gesellschaft zb. Klimawandel sollte man auch diese soziale Frage ; Wer kann sich das überhaupt leisten, ökologisch und klimagerecht zu leben mit reinzustellen. Dass man diese Sachen auch anspricht und sich für die Leute interessiert.

 

 

 

 

 

 

Aufgeschrieben v. Anna S. 8a

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Kommentare: 2
  • #1

    Christa � (Donnerstag, 27 Januar 2022 11:03)

    Ich finde es großartig, wie ihr euch engagiert.
    Euer Interview war sehr interessant.
    Es ist leider war, dass in unsrem reichen Land die Armut existiert. Manchmal vergisst man auf Grund der eigenen Probleme, daß es so ist.
    Darum finde ich es grossartig, daß sich gerade junge Leute wie iIhr mit sozialen Problemen beschäftigt.
    Man muß immer wieder die Augen offen halten. Danke dafür.
    Ich hoffe, wenn ihr in das Berufsleben eintretet, dass Ihr die Welt ein bischen besser machen könnt.

  • #2

    Oma Bine (Donnerstag, 27 Januar 2022 11:55)

    Kluge Fragen, aufschlussreiche Antworten. Macht weiter so!_